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Rennfahrerin und BobpilotinDie neue SRF-Frau lebt ein Leben im Temporausch

Die Karriere als Rennfahrerin vorerst auf Eis gelegt: Simona De Silvestro will als Bobfahrerin an die Olympischen Spiele 2026.

Simona De Silvestro kennt nur Temporausch. Sie ist die beste Rennfahrerin, die die Schweiz je hatte, fuhr in der prestigeträchtigen US-Serie Indycar und dort sechsmal das berühmt-berüchtigte Indy 500, in Australiens V8-Supercars, zuletzt mit GT3-Sportwagen in Deutschland. Und jetzt? Will die 35-Jährige an die Olympischen Spiele. Als Bobfahrerin. Für Italien.

Als Mädchen schon habe sie davon geträumt, an diesem Giga-Anlass einmal teilzunehmen, erzählt sie. 2026 steigt das Sportfest in Mailand und Cortina, eine Art «Heim-Olympia» könnte das werden, stammt die Familie ihres Vaters doch aus Italien. Vor zwei Jahren ging sie deshalb die Sportarten durch, die für sie infrage kommen. Die rasende Fahrt im Eiskanal kommt dem am nächsten, was sie ihr Leben lang getan hat: mit bis zu 400 km/h auf Rennstrecken rasen. Das gemächlichere Autobahntempo auf Eis beeindruckte sie da bei ihrem ersten Versuch nicht sonderlich. «Es ist schon schnell», sagt sie, «es fühlt sich für mich aber nicht ultraschnell an. Die Reflexe, die man bei solchen Geschwindigkeiten haben muss, sind in mir drin.»

Ihr Vater hatte eine Autogarage, war grosser Formel-1-Fan, mit sechs bekam die Tochter ihren ersten Kart, die Rennkarriere ging los, die Reaktionen des Körpers bei horrenden Tempi: fast schon angeboren. Das Pilotieren ist denn auch nicht das, was De Silvestro besonders fordert. «Ich habe meine Beine die letzten 30 Jahre nicht bewegt», so sagt sie das. Fuss hoch, Fuss runter, das ist, was die unterste Extremität des Körpers tun muss in einem Rennauto, viel mehr nicht. Die Oberschenkel von Bobpiloten? Baumstämme im Vergleich zur filigranen Statur von De Silvestro. 

Im Sommer arbeitete sie daher intensiv an der Sprinttechnik, an der Explosivität, machte Krafttraining, «meine Schienbeine haben schwer gelitten», sagt sie. Und: «Jetzt gibt es nur noch den Simona-Turbo. Ich habe keine 700 PS mehr, die ich mit meinem Fuss aktivieren könnte.»

Gleich den Olympiasieger engagiert

In einem Waldstück bei Dinhard nahe Winterthur gibt es eine alte Trainingsbahn, auf der die geborene Thunerin und Wahlzürcherin das Anschieben und Einsteigen trainiert. Als Privattrainer hat sie Beat Hefti engagiert, Bob-Olympiasieger und -Weltmeister, «wenn schon, denn schon», sagt De Silvestro und lacht. Er erstellt die Pläne, kümmert sich ums Athletik- und Anschiebetraining. Natürlich werde sie nicht mehr zu einer Meistersprinterin wie Mujinga Kambundji, sagt sie, mit Olympia meint sie es aber durchaus ernst. 

In diesem Winter hat sie ein paar Europacuprennen im Monobob, sprich Einerbob, und im Zweierbob absolviert, zweimal schaffte sie es in die Top 10. Nun will sie zur besten Italienerin überhaupt werden. Zwei Zehntel schneller beim Start, dann ist sie auf gutem Niveau.

Einer der ersten Versuche im Eiskanal: Simona De Silvestro nach einer Fahrt in St. Moritz im Januar 2022.

Die Gegnerinnen im südlichen Nachbarland sind auch weniger als in der Schweiz, es war einer der Gründe für den Nationenwechsel. Ein anderer: Sie, die keine Beziehungen in die Welt des Bobsports oder der Leichtathletik hatte, hätte kaum eine passende Anschieberin für den Zweierbob gefunden. In Italien aber, wo die Anschieberinnen im Gegensatz zur Schweiz Profis sind, angestellt bei der Polizei oder dem Militär, werden diese jeweils auf die Pilotinnen verteilt. Je besser De Silvestro fährt, desto stärker ist die Partnerin, die ihr zugeteilt wird. 

Gerade jetzt, zu Beginn ihrer Karriere, ist ausschlaggebend, wer ihren Schlitten auf Tempo bringt. «Eigentlich liegt mir der Monobob besser, weil er schwieriger zu fahren ist. Aber beim Start bin ich noch so schlecht, dass dies eine gute Anschieberin kompensieren muss.»

Als sie bei Sauber von der Formel 1 träumte

Der Traum von Olympia lebt jedenfalls für De Silvestro. Vor zehn Jahren platzte ein anderer jäh. Damals testete sie bei Sauber ein Formel-1-Auto, sie dachte an die grosse Karriere in der Königsklasse. Es scheiterte unter anderem am Finanziellen. Der Rennstall aus dem Zürcher Oberland brauchte Geld, De Silvestro brachte zu wenig mit, es hiess gar, sie hätte Schulden hinterlassen. «Natürlich war das schade, war ich nah dran.» Nachtrauern mag sie dem aber nicht.

Immerhin hat sie ihr Weg an einen Punkt geführt, an dem sie längst kein Geld mehr bezahlen muss, um in einem Cockpit sitzen zu können. Vielmehr wird sie bezahlt, etwa von Porsche, für das sie die Rennwagen der Elektroserie Formel E testet; von Teams, die sie für das legendäre 12-Stunden-Rennen im australischen Bathurst engagieren wollen; von Paretta, mit dem sie schon länger und noch immer ab und zu im Indycar unterwegs ist. Mit all dem finanziert sie sich ihr neues Hobby, den Bobsport. Ihre Karriere als Rennfahrerin? Derzeit auf Eis gelegt. Grösstenteils zumindest. 

Sie selbst klopfte bei SRF an

De Silvestro plant durchaus mit einzelnen Einsätzen in naher Zukunft, mit der Rückkehr in die Indycar-Serie. Und sie will in der Langstrecken-WM unterkommen, die 24 Stunden von Le Mans fahren. Weil sich für 2024 aber abzeichnete, dass sie nirgendwo eine ganze Saison würde fahren können, schaute sie sich um. Und klopfte bei SRF an. Ein paar Eignungstests später ist sie angestellt als Expertin für die Formel 1. Sie ergänzt in dieser Saison das Team um die Kommentatoren Michael Weinmann und Oliver Sittler sowie die Experten Marc Surer und Nico Müller. 

Die ersten Proben seien ganz gut gelaufen, «etwas Hausaufgaben habe ich aber noch», sagt De Silvestro, die ihr Debüt am übernächsten Samstag beim GP von Saudiarabien geben wird, eine Woche nach dem Auftakt in Bahrain. So hat sie sich etwa das Reglement der Formel 1 heruntergeladen, 110 Seiten. «Fahrerisch, technisch, da weiss ich dank meiner Erfahrung alles. Aber die Regeln weichen teils von denjenigen in anderen Serien ab.»

Etwas nervös sei sie vor ihrem ersten Auftritt am Mikrofon, «die ganze Familie wird zuhören und danach sicher ihre Kritik äussern. Aber ich freue mich sehr, bekomme ich diese Chance.» Es ist das nächste Abenteuer in De Silvestros Leben im Temporausch.