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Nationenwechsel im SkisportZwei gegen den Rest der Ski-Welt – und eine Flucht in die Karibik

Kehrten Österreich den Rücken: Elfriede «Elfi» Eder und ihr Trainer Gottfried Trinkl.

Elfriede Eder: Filmriss in der Seifenoper

Sie schwor auf ihn. Und gab alles für ihn auf. Als Gottfried Trinkl als Trainer der Österreicherinnen gefeuert wird, explodiert Elfriede «Elfi» Eder. Die Slalom-Spezialistin, die 1993 WM-Bronze und 1994 Olympia-Silber gewonnen hat, will mit Trinkl als Privatcoach weitermachen – der Verband aber stellt sich quer.

Der Streit endet vor Gericht, Eder zieht die Reissleine, erkämpft sich die Freigabe und sucht eine neue sportliche Heimat. Fündig wird sie, kein Witz, in der Karibik! Im Inselstaat Grenada wird eigens für sie ein Skiverband gegründet, ein Jahr lang muss sie aussetzen, bis sie wieder Rennen bestreiten darf.

Eder muss mit hohen Startnummern fahren, zweimal wird sie noch Elfte, mehr liegt nicht drin in der einen Saison, die sie noch absolviert. Sponsoren steigen aus, vor allem aber wird sie von Trinkl verlassen, die Trennung erfolgt via Telefon. Zwei gegen den Rest der Skiwelt – es ist der Filmriss in der Seifenoper.

Die Staatsbürgerschaft übrigens hat Eder längst zurückgegeben, der Wechsel sei ein riesiger Fehler gewesen, sagt sie heute. In Grenada ist sie nie gewesen.

Urs Imboden: Ins Armenhaus von Europa

31 ist der Bündner, als er bei Swiss-Ski ausser Rang und Traktanden fällt. In keinem Kader mehr hat es Platz für den Olympia-Fünften von 2002, der in Salt Lake City Bronze nur um sieben Hundertstel verpasst hat. Urs Imboden aber will nicht aufhören, und er findet eine Nation, die ihn aufnimmt: Moldau! Die Staatsbürgerschaft kriegt er schnell und unbürokratisch.

Neue Flagge, neue Chance: Urs Imboden, in der Schweiz ausgemustert, wird in Moldau gar Sportler des Monats.

Finanziell tut er sich damit keinen Gefallen, Moldau gilt als eines der ärmsten Länder in Europa. Imboden ist Rennfahrer, Servicemann, Videoanalyst und Manager in einem, dann und wann muss er Trainingsläufe selber stecken, einmal zwischen zwei Läufen seine Ski flicken. Es kommt vor, dass er noch am späten Abend vor dem Rennen potenzielle Sponsoren trifft.

2010 wird Imboden daheim in Adelboden als Ausländer Siebter, auch in anderen Rennen ist er besser als fast alle seiner einstigen Teamkollegen. In Moldau wird er Sportler des Monats. Auf die Frage, wie gut er die Sprache beherrsche, antwortete er einmal: «Etwa gleich gut wie Chinesisch.»

Marc Girardelli: Allein gegen alle

Er ist erst 12, als sein Papa findet, es sei nun genug. Helmut Girardelli ist nicht zufrieden mit der Förderung seines talentierten Sohnes Marc. Bei Jugendrennen hat er das Gefühl, dass der Junior betrogen wird, es gibt Intrigen und Streit mit dem österreichischen Skiverband.

Und so flüchtet die Familie – nach Luxemburg. Ins Grossherzogtum, das mit Skifahren nichts am Hut hat, aber auf einmal Wintersportnation ist: 46 Weltcupsiege, 5 Gesamtsiege, 4 WM-Titel, der Dauerrivale Pirmin Zurbriggens wird zu einem der erfolgreichsten Skifahrer der Geschichte.

Rot-Weiss-Blau statt Rot-Weiss-Rot: Der gebürtige Österreicher Marc Girardelli realisiert all seine Erfolge als «Ski-Exot» für Luxemburg.

Girardellis Preis dafür ist hoch. Nur schon für die Sommercamps in Neuseeland zahlt er jeweils 70’000 Franken aus der eigenen Tasche, er hat keinen Fanclub, «ein einziges Mal habe ich ein Transparent für mich gesehen, zwei Mädchen hatten aus einem alten Tischtuch ein Plakat gebastelt», sagt der heute 60-Jährige. Ein Siegesfest? Gibt es nie.

Vor allem verpasst Girardelli die Olympischen Spiele 1984 in Sarajevo, den luxemburgischen Pass kriegt er erst drei Jahre später. Weil er meistens allein unterwegs ist, wird er paranoid: Als am Flughafen das Gepäck nicht ankommt, wartet er stundenlang am Rollfeld – er hat Angst, dass ihm jemand ein Päckchen Kokain in den Skisack steckt. Einladungen für Fussballspiele mit den Österreichern schlägt er aus, er befürchtet, sie könnten ihn absichtlich verletzen.

Den Nationenwechsel bereut Girardelli: «Wir nächtigten in Hotels, die weit weg waren von allen anderen, am Gletscher bekamen wir teils nur schwer genug Platz, um einen Lauf auszustecken. Es war enorm kompliziert.»

Christa Kinshofer: Einmal Niederlande retour

Als Teenager schon Weltspitze, gewinnt Christa Kinshofer einmal fünf Riesenslaloms in Serie. Sie wird dadurch noch populärer, wegen ihres Vermarktungstalents ist die Deutsche das Glamour-Girl des Skisports, sie wird auch Hollywood-Christa genannt. Ihr Standardspruch: «Ich bin sexy und selbstbewusst.»

Schon während der Karriere eröffnet Kinshofer eine Boutique. Ein neuer Verbandstrainer stört sich an diesem und jenem, zu viel Geschäft, zu wenig Training, kritisiert er. Die Athletin mag sich die Vorwürfe nicht mehr anhören, Deutschlands Sportlerin des Jahres 1979 wird fahnenflüchtig, auch auf Rat Marc Girardellis.

In Calgary 1988 jubelt sie wieder für Deutschland: Christa Kinshofer (l.) wird im Riesenslalom Zweite hinter Vreni Schneider und vor Maria Walliser.

Mit 22 folgt der Wechsel in die Niederlande, Kinshofer verliert Sponsoren und Ranglistenpunkte. An einem Rennen startet sie mit Nummer 124, «nach mir wurden die Stangen abgeräumt, es gab Gelächter und Häme», sagt sie einmal. 1987 holt sie bei den internationalen deutschen Meisterschaften Gold – als Niederländerin.

Doch dann kommt es zur Versöhnung, ein neuer Trainer holt die Aussortierte nach Deutschland zurück, Kinshofer zahlt dem niederländischen Verband 20’000 Franken Ablöse. Und gewinnt an den Winterspielen 1988 in Calgary zwei Medaillen.

Romed Baumann: Sie nannten ihn Judas

In den sozialen Medien kriegt er Nachrichten unter der Gürtellinie, das Schlechteste wird ihm gewünscht. Vor der Abfahrt 2020 in Kitzbühel, wo er aufgewachsen ist, wird er auf dem Weg von der Besichtigung Richtung Gondel als Judas beschimpft.

So ergeht es Romed Baumann nach dem Nationenwechsel von Österreich nach Deutschland. Dabei will er doch nur eines: seine Karriere retten.

Grosse Genugtuung: 2021 holt Romed Baumann für Deutschland WM-Silber im Super-G.

Vom ÖSV wird er 2019 aussortiert, an die früheren Ergebnisse mit den zwei Weltcupsiegen und WM-Bronze in der Kombination ist er nicht mehr ansatzweise herangekommen. Alle sind einverstanden mit dem Wechsel zum grossen Nachbarn, Baumann darf seine Punkte behalten, verliert keine Startplätze. Er sagt: «Meine Frau ist Deutsche, meine Töchter sind hier geboren, wir haben ein Haus im Land – also mehr deutsch geht nicht.»

2021 gewinnt Baumann in Cortina überraschend WM-Silber im Super-G, es ist für die deutschen Männer in jener Disziplin das beste Ergebnis in der Geschichte. Der Routinier wird zum ersten Skifahrer in der Nachkriegsgeschichte, der WM-Medaillen für zwei Länder gewinnt.

Lara Colturi: Die Italiener schäumen vor Wut

Im Frühling 2022 schreien einige in Italien auf. Lara Colturi, damals 15-jähriges Ski-Wunderkind aus Turin, wechselt die Nation. Nichts mehr mit Squadra Azzurra, fortan startet sie für Albanien. «Ciao Italia. Was für ein Pech», schreibt die «Gazzetta dello Sport». Viele Trainer, aber auch Teamkolleginnen wie Sofia Goggia kritisieren den Abgang.

Eigene Wege: Supertalent Lara Colturi lernt die Hymne Albaniens – womöglich ertönt sie dereinst an einem Grossanlass.

Als Kind ist Colturi auch im Eiskunstlauf äusserst talentiert, auf den zwei Latten aber trauen ihr die Eltern noch mehr zu. Die Familie ist zentral für den Nationenwechsel, die Betreuung durch Mutter Daniela Ceccarelli soll schliesslich gewährleistet bleiben, nun kann die Super-G-Olympiasiegerin von 2002 nach eigenem Gutdünken schalten und walten.

Ceccarelli war einst Trainerin in Albanien und erhielt so den Doppeladler-Pass, die Tochter hat ihn daher vergleichsweise leicht beantragen können. Mittlerweile 17, gehört sie bereits zu den Top 30 im Slalom und im Riesenslalom. Und verspricht, die albanische Hymne auswendig zu lernen.

Josef Strobl: «Wer will ihn?»

Neues Land, alte Sorgen: Auch als Slowene kam Josef Strobl, 2000 Sieger der Lauberhornabfahrt, nicht mehr auf Touren.

Abfahrt in Val-d’Isère, sein zweites Weltcuprennen, Startnummer 61. Und was tut Josef Strobl? Er gewinnt. Es folgen sechs weitere Erfolge, dazu 1997 und 2000 Platz 3 im Gesamtweltcup.

Strobl wird hochgelebt in Österreich, aber es ist die Zeit, als es Neunfacherfolge gibt durch ÖSV-Vertreter, als die Maiers und Eberharters alles abräumen. So bleibt bald kein Platz mehr für «Pepi», dreimal wird er nicht für einen Grossanlass berücksichtigt, muss vor Rennen teaminterne Qualifikationen bestreiten. Und so sagt er: «Lieber höre ich auf, als weiter für Österreich zu fahren.»

Strobls angestrebter Nationenwechsel ist in den heimischen Zeitungen ein grosses Thema, nachdem die Deutschen abgelehnt haben, wird getitelt: «Wer will ihn?»

Letztlich findet er bei den Slowenen Unterschlupf, der österreichische Skiverband erteilt die Freigabe nur, weil er sich die slowenische Unterstützung für die WM-Kandidatur 2009 von Schladming sichert. Wobei der Transfer letztlich niemandem hilft: Die Titelkämpfe werden nach Val-d’Isère vergeben, und Strobl verletzt sich, holt für Slowenien keinen einzigen Weltcup-Punkt mehr.