Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

SCB-Musterprofi ScherweyWenn seine Tochter lächelt, schmilzt das Raubein dahin

Tristan Scherwey ist der dienstälteste Berner, spielt seit 2009 für den SCB. Er ist fünffacher Meister und zweifacher Cupsieger.

Er nennt sich mehrfach einen komischen Vogel, spricht sieben Minuten und zwei Sekunden. Für Menschen, denen Sprachnachrichten zuwider sind, fast schon eine Zumutung. Es folgt eine SMS mit drei Freudentränen-Emojis und dem Satz: «Excuse, e chli läng, aber so isch klar, wasi ha wöue säge.»

Es ist September. Die Saison hat eben erst begonnen. Tristan Scherwey erklärt, warum er noch keine Interviews geben möchte. Er empfinde es als nicht selbstverständlich, wenn über ihn berichtet werde. Den Zeitungsartikel möchte er sich erst verdienen. Gleichzeitig fragt der SCB-Stürmer, ob die Redaktion eine Deadline gesetzt habe, und schlägt Alternativen vor.

Jetzt, fünf Monate und unzählige Anfragen später, sitzt Scherwey vor einem Teller mit gelbem Gemüsecurry, Kartoffeln und Reis. «Nun haben wir es also doch noch geschafft», sagt er grinsend. «Ich dachte, Sie würden irgendwann locker lassen.» Trotz überzeugenden Auftritten ist Scherwey nach wie vor nicht zufrieden. «Ich bin streng mit mir selbst und ein Perfektionist. Das ist Fluch und Segen zugleich.»

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Scherwey gilt als Prototyp eines Musterprofis. Schon in seiner Debütsaison 2009 eroberte er mit seiner unbekümmerten und furchtlosen Art die Herzen der SCB-Fans. Der junge Mann selbst trug sein Herz auf der Zunge. Nach einem Interview freute sich ein Boulevardjournalist bereits auf die Schlagzeile, als der damalige SCB-Medienchef Christian Dick die Hände zum Gebet faltete und mit Erfolg um Nachsicht bat.

Ob Zufall oder nicht: Der Reporter ist heute nicht mehr beim Boulevard tätig. Scherwey dagegen ist mittlerweile der dienstälteste Spieler im Team, fünffacher Meister und zweifacher Cupsieger. Er gehört zu den härtesten Spielern auf Schweizer Eis, bezeichnet sich selbst ironischerweise aber als «Riesen-Weichei». Scherwey ist feinfühlig und nahe am Wasser gebaut.

Seine Tochter rührt ihn zu Tränen

Als er vor zwei Wochen ins Nationalteam einrückte und sich von seinem neun Monate alten Töchterchen verabschieden musste, schossen ihm abermals die Tränen in die Augen. «Wir sassen am Mittagstisch, als im Radio Bob Marley gespielt wurde. Während der Zeile ‹Gimme, gimme, gimme just a little smile› begann ich, mit ihr zu tanzen. Als sie lächelte, war es um mich geschehen.»

Seine Tochter habe ihn zu einem besseren Menschen gemacht, schwärmt Scherwey. «Ich verfügte schon immer über sehr viel Lebensfreude. Doch jetzt bin ich ein noch glücklicherer Mensch, weiss einiges mehr zu schätzen. Ich lebe die Momente bewusster. Am Weihnachtsmarkt in Montreux sind mir Dinge aufgefallen, die ich zuvor nie wahrgenommen hatte.»

Scherwey, der im Team für seinen Ordnungsfimmel bekannt ist, stört es auch nicht, wenn die Spielsachen kreuz und quer im Haus herumliegen. Zweifel, ob er der Vaterrolle gewachsen ist, hatte er nie. «Ich liebe Kinder, bin ein offener, herzlicher Mensch. Nun darf ich endlich erfahren, was es heisst, Liebe für das eigene Kind zu empfinden. Lächelt die kleine Bohne, ist die Welt einfach in Ordnung.»

Sie werde sich wohl zu einem Schlingel entwickeln, mutmasst Scherwey und setzt sein typisch spitzbübisches Lächeln auf. Die Aussage kommt nicht von ungefähr. Als Kind liess der Stürmer nichts aus, landete sogar einmal auf dem Polizeiposten, nachdem er Schneebälle gegen ein Polizeiauto geworfen hatte. Ein andermal musste sich ein Schulkollege eine Glatze rasieren lassen, nachdem er von Scherwey Teppichkleber in die Haare geschmiert bekommen hatte. «Sein Vater sagte mir hinterher alle Schande», erinnert sich der Mann, der schon mit «Michel aus Lönneberga», dem Lausebengel aus den Astrid- Lindgren-Romanen, verglichen wurde. Scherwey warf Gegenstände durch Klassenzimmer, bemalte einem Lehrer die Hosen und wurde nach Hause geschickt, als er auf der Abschlussreise mit einer Wasserpfeife erwischt worden war.

Wilde Nächte mitten im Playoff

«Während der Schulzeit habe ich so einigen Mist gebaut, ging aber nie über ein gewisses Mass hinaus», gesteht der Mann, der wegen schlechter Schulnoten wöchentlich bei SCB-CEO Marc Lüthi antraben musste. «Ich bin noch immer ein Lausbub, aber auf eine reifere Art.» Sich im Playoff die Nächte um die Ohren schlagen, so wie damals mit 18 Jahren, würde Scherwey längst nicht mehr. «Ich bin nicht stolz darauf. Heute würde das wohl keiner mehr tun. Die Zeiten haben sich geändert. Auch wegen der sozialen Medien.»

Eine Dose Bier in der linken, eine Dose Bier in der rechten Hand. Dazu eine Zigarre. Fünf Meistertitel feierte Scherwey mit dem SCB.

Dort ist der WM-Silbermedaillengewinner von 2018 kaum aktiv. Er verfügt lediglich über einen Facebook-Account, hat jedoch noch nie etwas gepostet. «Vielleicht lebe ich hinter dem Mond, aber ich habe nicht das Bedürfnis, jedem mitzuteilen, was ich gerade mache und wo ich bin. Vielfach wird versucht, eine Bestätigung für das eigene Tun zu bekommen. Das brauche ich nicht.»

Es gab Zeiten, da schieden sich am Powerstürmer die Geister, auch weil er hin und wieder die Grenzen des Erlaubten überschritten und sich Spielsperren eingehandelt hatte. Es kam sogar vor, dass Spieler, die neu zum SCB gestossen waren, Vorbehalte hatten. Doch alle mussten sie ihre Meinung revidieren.

Er habe zwei Gesichter, sagt der 99-fache Internationale und erzählt, wie er in dieser Woche von einem SCB-Fan, der kaum glauben konnte, wer ihm da gegenüberstand, für seine Bescheidenheit gelobt wurde. «Ich bin kein Materialist. Als ich im Ausgang war und ein Bekannter über Geld reden wollte, nur weil ich Eishockeyspieler bin und möglicherweise mehr verdiene, brach ich das Gespräch sofort ab. Mich machen Kleinigkeiten glücklich. Es zählt der Mensch.»

2019 verlängerte der Flügelstürmer beim SCB um sieben Jahre. Nie zuvor wurde ein Spieler im Schweizer Eishockey so lange an einen Verein gebunden. Der ehemalige Gottéron-Junior sagt, er könne sich schlicht nicht vorstellen, für einen anderen Club zu spielen. Dass es vereinzelt Kritik an der Vertragsdauer gab, sei an ihm abgeprallt. «Ich kam nie in die Kabine und dachte mir, dass ich es nun etwas langsamer angehen werde, nur weil ich diesen langen Vertrag besitze. Und seien wir doch ehrlich: Was ist ein Vertrag heutzutage noch wert?»

Kein Schön-Wetter-Tristan

Bis 2027 läuft der Kontrakt. Dann wird das Energiebündel 36 Jahre alt sein. Wie sein Leben nach der Karriere ausschauen könnte, weiss Scherwey nicht. Er schloss einst die Handelsschule ab und nahm erste Trainerkurse. Das Eishockey interessiert ihn. Doch er mag auch Menschen. Scherwey sagt: «Ich wünschte, ich hätte mir ein zweites Standbein aufbauen können oder eine Weiterbildung gemacht. Doch ich fürchtete, ich könnte die Energie dafür nicht aufbringen. Ich weiss, was für ein Spieler ich in jungen Jahren war und wie viel es brauchte, um ein Leben als Profi führen zu können.»

Während seiner Anfänge war Scherwey ausschliesslich fürs Grobe zuständig. Spielerisch entwickelte sich der Flügel erst später. «Die grösste Herausforderung besteht nun darin, die perfekte Balance zu finden. In diesem Bereich gehe ich hart mit mir ins Gericht. Nur spielerisch kann ich nicht agieren, dann bin ich der Schön-Wetter-Tristan», sagt der Berner Publikumsliebling.

Scherwey schaut auf die Uhr. Ein Massagetermin steht an. Er legt Wert darauf, beide Mittagessen zu bezahlen, und duldet keine Widerrede. Auch wenn er froh wäre, dieser Artikel würde nicht erscheinen. Bern befindet sich noch im Playoff-Kampf, trifft heute auf Zug.

Auch in der Nationalmannschaft erfolgreich: Mit der Schweiz gewann Tristan Scherwey 2018 in Kopenhagen WM-Silber.