Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

WunderkindDieser Bub spielt mit 11 schon in der Nationalmannschaft

Fussball, Lego – und Schach: Hussain Besou ist ein Grosstalent. 

In diesen Tagen gab Hussain Besou sein Debüt für die deutsche Schach-Nationalmannschaft. Das Besondere: Der Bub ist elf. Damit ist er der jüngste Nationalspieler in der Geschichte des Deutschen Schachbundes (DSB). In der Schweiz spielte noch nie ein so Junger in der A-Auswahl. 

Zwar hat die Nationalmannschaft im Schach nicht denselben Stellenwert wie in anderen Sportarten. Viele Grossmeister würden ein lukratives Einzelturnier einem solchen Teamevent vorziehen. Aber ein Debüt mit elf – das ist schon erstaunlich.

«Es gibt im Schach fast schon so etwas wie ein imaginäres Rennen. Es geht immer um das Jünger- und Noch-jünger-Sein», sagt DSB-Nachwuchstrainer Bernd Vökler, der sich mit Besou eingehend beschäftigt und ihn nun für den Mitropa-Cup ins Nationalkader berufen hat. Auch in anderen Ländern werden Kinder früh in Schach-Kader aufgenommen. Randa Sedar aus Palästina und Vahap Sanal aus der Türkei etwa waren beide acht Jahre alt, als sie debütierten. Im neunköpfigen Schweizer Aufgebot des Mitropa-Cups ist das jüngste Mitglied die 15-jährige Mariia Manko. Der jüngste Grossmeister der Schachgeschichte, der Amerikaner Abhimanyu Mishra, war zwölf Jahre und vier Monate alt, als er die Auszeichnung erhielt.

Besou ist in Riad geboren. Als er fünf Jahre alt war, musste er mit seinen Eltern und seinen vier Geschwistern nach Deutschland fliehen, weil der Vater die Regierung in Damaskus kritisiert hatte und seitdem vom Assad-Regime verfolgt wurde.

«Nach jeder Partie, die er verloren hat, hat er mit Figuren um sich geworfen.»

Nachwuchstrainer Bernd Vökler

Schon in jungen Jahren sah Besou seinem Vater und seinem Grossvater beim Schach zu, mit vier lernte er das Spiel. Bald darauf wurde er Jugendvereinsmeister im LSV/Turm Lippstadt, als Neunjähriger gewann er die deutsche U-12-Meisterschaft. Im März 2023 lag er schon auf Platz 2 der Weltrangliste der U-12.

«Ich möchte Grossmeister werden», sagt Besou im Videotelefonat. Kurze braune Haare, Brille, grüner Kapuzenpullover, einsilbige Antworten, verschmitztes Lächeln und die in dem Alter klassischen Hobbys: «Fussball spielen und Lego bauen.» Ein ganz normaler Elfjähriger eben. Ein Kind.

Als ein solches hat auch Nachwuchstrainer Vökler ihn 2018 bei der Jugend-EM in Riga kennen gelernt. Besou war damals sieben Jahre alt. «Es war katastrophal, er war alles andere als bereit», sagt der Trainer: «Nach jeder Partie, die er verloren hat, hat er mit Figuren um sich geworfen.» Wenn Besou zwei Stunden Bedenkzeit gehabt habe, erzählt Vökler, habe er den Zug trotzdem schon innerhalb von fünf Minuten gespielt und dadurch einige Partien verloren, die er hätte gewinnen müssen. «Trotzdem hat man gleich gesehen, dass er ein Riesentalent ist», sagt Vökler.

Viele Stunden Grundlagentraining

Seit damals hat Besou laut Vökler einen rasanten Entwicklungsschub erfahren. Den Grund sieht er vor allem im Grundlagentraining, das Besou während der Corona-Pandemie in der Schachakademie von Artur Jussupow absolviert hat. Jussupow ist Grossmeister und vertritt die russische Schachschule, in der grossen Wert auf das Positionsverständnis gelegt wird, wie Vökler erklärt. Es gehe da mehr um das Gesamtbild. In Deutschland werde das für gewöhnlich anders gehandhabt und es stünden konkrete Fragen im Vordergrund: Welcher Zug ist der richtige? Wie berechne ich die Varianten? Was genau muss ich machen?

Wenn Kinder so früh so stark auftreten, dann gibt es besondere Pflichten für Trainer und Umfeld, angemessen damit umzugehen. Besou trainiert jeden Tag. Unter der Woche eine Stunde. Am Wochenende und in den Ferien drei bis vier Stunden. Meistens übt er mit Büchern und löst Aufgaben. «Ich würde nicht sagen, dass ich mich aufs Üben freue, mir machen die Turniere und das richtige Schachspielen mehr Spass», sagt Besou. Mit seiner Familie könne er aber nicht mehr spielen: «Das ist langweilig, da gewinne ich eh immer», sagt er und lacht.

So jung und schon so gut – wie geht das?

Wie ist es möglich, dass Kinder heutzutage auf so hohem Niveau Schach spielen können? Stefan Kindermann, österreichischer Grossmeister und Schachexperte, nennt mehrere Gründe für diese Entwicklung. Zum einen würden heutzutage schon fünf- und sechsjährige Talente intensiv gefördert und von hochkarätigen Trainern betreut. «Und ausserdem haben wir durch die Computertechnik heute Zugriff auf das gesamte menschliche Wissen, das es im Schach gibt», sagt Kindermann. Viele kommentierte Schachpartien sind im Internet zu finden, gigantische Datenbanken voll mit menschlichem Schachwissen, mit Varianten und Zügen.

«Früher war das alles Geheimwissen. Man musste sich das durch jahrelanges Spielen erarbeiten», sagt Kindermann. Durch die Mischung aus technischen Voraussetzungen und der kindlichen Intuition können Kinder heute mit sehr erfahrenen Schachspielern mithalten. «Für Schachwunderkinder ist Schachspielen wie Zähneputzen.»

Der Mitropa-Cup, bei dem Besou fürs deutsche Nationalteam antritt, ist dennoch eine Herausforderung für ihn. Nach sieben Spielen hat er bis Dienstagmittag zwei Siege und ein Remis erreicht. «Es werden einige Gegner stärker sein, Hussain wird teilweise auch gegen Grossmeister spielen», sagte Vökler vor Turnierbeginn. Immerhin schicken manche der zehn teilnehmenden Nationen ihre besten Spieler. «Dass der Jüngste dieses Mal ein Elfjähriger ist, ist Zufall», sagt Vökler. Er tut so, als wäre es das Normalste der Welt.

Ein Zufall, der Besou plötzlich auch über die Schachwelt hinaus bekannt gemacht hat. Derzeit gibt er fast jeden Tag Interviews, das Fernsehen war schon bei ihm. «Mir macht das so Spass. Ich liebe es, über mich zu lesen», sagt Besou und lacht. Wenn er weiterhin so Schach spielt, wird er noch viel zu lesen haben.