Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Bizarre Aussagen einer SportgrösseSogar in der Sauna liess er sich noch reich beschenken

Fühlt sich komplett missverstanden: Anders Besseberg.

Das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» hat die auffälligste Episode in dieser Geschichte der 1001 Episoden am besten zusammengefasst. Sie geht so:

Kommt ein Russe in die Sauna.

Sitzt da ein Norweger.

Sagt der Russe zum Norweger: Schöne Armbanduhr, willst du tauschen?

Sagt der Norweger: Na gut, wenn du unbedingt willst.

Kriegt der Russe eine billige Uhr von Adidas. Und der Norweger eine Hublot für über 6000 Euro.

Der Norweger heisst Anders Besseberg und ist zu jenem Zeitpunkt im Winter 2013 Präsident der Internationalen Biathlon-Union IBU, also dem Weltverband. Der Russe ist ein Funktionärskollege. Besseberg erzählte von diesem Uhrentausch im Februar, weil er in der Heimat einen Strafprozess über sich ergehen lassen muss. «Grobe Korruption» wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. Sie fordert eine Haftstrafe von drei Jahren und sieben Monaten.

Besseberg hingegen mag bis heute nicht erkennen, was er in seiner 25-jährigen Zeit als Präsident falsch gemacht habe. Er fühle sich im Gegenteil wie ein zum Abschuss freigegebenes Wildschwein, sagte er im Prozess.

Der Blattschuss beim Pinkeln

Das Sprachbild passt, denn um seine enorme Lust am Jagen geht es im Prozess immer wieder – mit diesem Höhepunkt oder auch Tiefpunkt, je nach Sichtweise: Besseberg ist gerade beim Pinkeln, als ihm ein Hirsch vor die Flinte läuft, er aber geistesgegenwärtig abdrückt: Blattschuss. Vom «Pipi-Hirsch» ist danach im Prozess die Rede.

Das wiederum klingt harmloser, als es ist. Denn ob Hirsch, Fuchs, Elch oder gar Bär: Stets liess sich Besseberg bei diesen Ausflügen sämtliche Kosten bezahlen, oft von Funktionären des russischen Biathlon-Verbands.

Auch in Österreich, dem Sitz seines Verbands, läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Korruptionsverdachts bei der IBU. Darum wurde das Handy von Besseberg abgehört, sein E-Mail-Verkehr gecheckt.

Viel Material hat auch eine unabhängige Kommission gesammelt, die der Biathlon-Verband nach Bessebergs Abgang 2018 einberief. Diese sichtete 70’000 Dokumente, befragte 60 Zeugen – und kam zu einem fatalen Ergebnis: «Dieser Abschlussbericht … zeigt auf, was die Kommission als Beweis für systematisch korruptes und unethisches Verhalten an der Spitze der IBU über ein Jahrzehnt (2008 bis 2018) und mehr ansieht, und zwar von einem Präsidenten, der nach Ansicht der Kommission keine Rücksicht auf ethische Werte und kein wirkliches Interesse am Schutz des Sports vor Betrug hatte.»

Und: «Ermöglicht durch das völlige Fehlen grundlegender Kontrollmechanismen (…), war Herrn Bessebergs proklamiertes Engagement für einen sauberen Sport nach Ansicht der Kommission eine Farce.»

Darum kommen wir nochmals zurück auf das Thema Uhren. Die norwegische Polizei fand bei einer Durchsuchung von Bessebergs Bauernhof gleich 13 Uhren. Wert der zwei teuersten: je 20’000 Euro. Erhalten hatte sie Besseberg von russischen Biathlon-Funktionären, gemäss Staatsanwaltschaft (und der Kommission) unter anderem, damit die Union russische Dopingfälle kleinhalte – was sie tat.

Besseberg verneinte seine Mittäterschaft im Prozess vehement, zumal ihn an Uhren eigentlich nur interessiere, dass sie korrekt tickten und die Zeit gut sichtbar sei. Und sowieso: Er habe derart viel für seinen Sport getan, da habe er eine schöne Uhr als Geschenk keineswegs für übertrieben gehalten.

Bei Uhren und Jagden aber beliess es die Staatsanwaltschaft beim Aufzählen nicht. Sie behauptet, dass ihn russische Funktionäre mittels Prostituierter gefügig zu machen versuchten. Davon wollte Besseberg im Prozess nichts wissen. Nur hatte er vorher der österreichischen Polizei noch freimütig von Frauenbesuchen in Russland erzählt. Allerdings wisse er weder, wer sie geschickt, noch wer sie bezahlt habe.

Das abgehörte Telefongespräch

Abgehörte und im Prozess präsentierte Telefongespräche aber brachten ihn abermals in die Bredouille: So rief er eine Russin vor einem Weltcup in Russland mit folgenden Worten an: «Hier ist Anders. Viktor Majgurow (einer seiner Vizepräsidenten aus Russland) wird dich anrufen. Du kannst bei mir im Zimmer übernachten, okay?»

Im Prozess sagte der 78-jährige Besseberg: Er habe ein amouröses Verhältnis mit dieser jungen Frau gehabt, das werde ja wohl noch erlaubt sein. Die Frau wiederum behauptete gegenüber norwegischen Medien, sie habe ihn bloss interviewt.

Die Indizienkette der Staatsanwaltschaft – bezahlte Uhren, Jagdausflüge, Prostituierte oder mutmasslich 300’000 Dollar in einem Koffer – ist allerdings so lang und breit dokumentiert, dass Anders Bessebergs Absturz sehr wahrscheinlich scheint. Das Urteil zu diesem Jahrzehnteprozess im globalen Sport wird im April erwartet.