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Ukrainische TennisspielerinBeim Abschied sagt der Vater: «Passt aufeinander auf und kämpft für eure Träume»

Na bitte, es geht doch! Dajana Jastremska nach dem Viertelfinaleinzug in Melbourne.

Im Februar 2022 kehrte Dajana Jastremska, damals 21, nach dem Turnier in Dubai für einige Tage nach Odessa zurück. Ihr Bein schmerzte, und sie wollte etwas Zeit mit der Familie verbringen, ehe sie ans nächste Turnier in Lyon weiterreisen würde. Eines Morgens, sie hatte die Koffer gepackt, wurde sie von Erschütterungen und einem Knall aus dem Schlaf gerissen. Sie stürmte in die Küche zu ihrem Vater und fragte: «Was ist das?» Er sagte: «Der Krieg hat begonnen.»

Sie begann, die News zu durchforsten, und die schreckliche Gewissheit bestätigte sich. «Man kann nicht wirklich verstehen, was ein Raketenangriff ist, wenn man ihn nicht erlebt, ihn nicht gefühlt hat», sagte sie im Interview mit der französischen Sportzeitung «L’Equipe». «Normalerweise sieht man den Krieg nur in Filmen», so Jastremska. «Aber der Film wurde für mich zur Realität. Ich sah, wie die Raketen explodierten. Du weisst nicht, wo sie einschlagen werden, alle werden panisch und versuchen, sich irgendwo zu verkriechen, um zu überleben. Es ist so surreal!»

Im Auto durch den Raketenhagel

Sie zogen sich in den Keller zurück und harrten aus, bis das Bombardement fürs Erste vorüber war. Jastremskas Flugticket nach Lyon wurde hinfällig, weil sofort der ukrainische Luftraum geschlossen wurde. Der Vater beschloss, dass sie, ihre jüngere Schwester Iwanna und die Mutter das Land so schnell wie möglich verlassen sollten. Sie packten ihre Siebensachen und fuhren mit dem Auto an die rumänische Grenze. Es waren bange zwei Stunden, weil sie befürchten mussten, eine Rakete könnte in der Nähe einschlagen.

Als sie an der Grenze ankamen, gab es da schon eine lange Schlange von Autos. So gingen Dajana und ihre 15-jährige Schwester zu Fuss über die Grenze. Die Mutter kam nun doch nicht mit, sie wollte den Vater nicht allein lassen. Es kam zu einem tränenreichen Abschied.

Wie Jastremska der «Equipe» erzählte, sagte der Vater zu ihr und ihrer Schwester: «Ich weiss nicht, wie dieser Krieg enden wird, aber ihr müsst aufeinander aufpassen und für eure Träume kämpfen. Baut euch ein neues Leben auf und bleibt immer zusammen. Macht euch keine Sorgen um uns, es wird alles gut. Und denkt daran, dass die Ukraine euer Mutterland ist.» Zu Fuss überschritten sie die Grenze und reisten danach via Bukarest nach Frankreich.

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Das ist fast zwei Jahre her, und der Ukraine-Krieg tobt immer noch. Jastremska reist weiter auf der Profitour herum, ihre Schwester trainiert in einer Akademie in Frankreich und träumt ebenfalls von einer Tenniskarriere. Ihre Eltern leben, aber immer wieder ereilen Jastremska in der Ferne Schreckensnachrichten.

«Als ich jüngst in Brisbane spielte, schlug eine Rakete beim Haus meiner Grossmutter ein», erzählt sie in Melbourne. «Unter diesen Umständen Tennis zu spielen, ist emotional schwierig. Aber das Schlimmste ist, dass du allmählich akzeptierst, dass es so ist. Dass die Leute diesen Krieg vergessen.»

Mit ihrem Siegeszug am Australian Open verschafft sich Jastremska Gehör. Als Qualifikantin hat sie sich bis in den Viertelfinal gespielt, zuletzt schlug sie die zweifache Australian-Open-Gewinnerin Viktoria Asarenka (2012, 13) in zwei Sätzen. In der Startrunde hatte sie die aktuelle Wimbledon-Siegerin Marketa Vondrousova 6:1, 6:2 vom Platz gefegt. Inzwischen steht sie inklusive Qualifikation bei sieben Siegen in Serie. «Die Ukraine ist meine Familie», schrieb sie nach ihrem letzten Spiel auf die Kameralinse. Wofür sie russische Trolle in den sozialen Medien anfeindeten.

Sie versuchte, für ein ganzes Land zu gewinnen

Nicht immer war es Jastremska so gut gelungen, die dunklen Gedanken an den Krieg in ihrer Heimat wegzuschieben. Mit 19 bereits die Nummer 21 der Welt, tat sie sich in den letzten beiden Jahren schwer und fiel sogar aus den Top 100. «Der Krieg belastete mich sehr», sagte sie. «Du liest die ganze Zeit die News und siehst Videos. Aber nach zwei Jahren lernst du, mit alldem besser umzugehen.»

Anfangs habe sie sich unter Druck gesetzt, jetzt noch besser spielen zu müssen. Im Sinne von: «Es ist Krieg, also muss ich für die Ukraine gewinnen. Ich spielte nicht mehr nur für mich. Aber das wurde zu viel. Jetzt habe ich beschlossen, mir ab diesem Jahr keinen Druck mehr zu machen, keine allzu hohen Erwartungen mehr an mich zu stellen. Ich sagte mir: Sei einfach so, wie du bist, und dann schauen wir, wohin es dich führt.» Damit ist sie in Melbourne gut gefahren.

Fast ungläubiger Jubel: Dajana Jastremska steht als Qualifikantin im Viertelfinal des Australian Open.

Mit dem Viertelfinal hat sie, die seit Kriegsbeginn keine Runde an einem Grand-Slam-Turnier mehr überstanden hatte, bereits ihr bestes Ergebnis auf der höchsten Bühne erreicht. Und mit 600’000 australischen Dollar (rund 340’000 Franken) erhält sie die grösste Börse ihrer Karriere.

Von dieser wird sie auch wieder einen Teil in ihre Stiftung stecken, die sie nach Kriegsausbruch gründete. Damit unterstützt sie notleidende Familien in ihrer Heimat mit Essen und Kleidern, sie hilft Kriegswaisen, lässt traumatisierten Kindern psychologische Hilfe zukommen und zerstörte Sportstätten wiederaufbauen.

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Und noch ist das Australian Open ja nicht vorbei für Jastremska, es könnte noch einiges an Preisgeld dazukommen. Die Siegerin erhält umgerechnet 1,8 Millionen Franken. Wie man als Qualifikantin ein Grand-Slam-Turnier gewinnt, machte am US Open 2021 die Britin Emma Raducanu vor.

Erstmals auf Grand-Slam-Stufe erreichten in Melbourne mit Jastremska und Marta Kostyuk (21) zwei Ukrainerinnen im Viertelfinal – Kostyuk scheiterte da an Coco Gauff, Jastremska fordert die 19-jährige Tschechien Linda Noskova. Sie kämpfen um den sportlichen Erfolg, aber auch gegen das Vergessen des Krieges in ihrer Heimat, der inzwischen seit bald 700 Tagen wütet.