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Frauen im Schach«An Männer, die nicht verlieren können, habe ich mich schon als Kind gewöhnt»

Sind es gewohnt, die einzigen Frauen zu sein: Die Schachspielerinnen Ghazal Hakimifard (l.) und Lena Georgescu. 

Beinahe glaubt man, die kleine Kerze in der Mitte des quadratischen Tisches flackern zu hören. Die Stille hält nicht lange, zehn Sekunden vielleicht, doch sie ist vielsagend, grundlegender Art. Wie es so oft der Fall ist, wenn schweigend um eine Antwort gerungen wird. Dabei war die Frage eine vermeintlich simple: Weshalb gibt es so wenige Frauen im Schach?

Und doch zögert Ghazal Hakimifard mit ihrer Erklärung. Vielleicht, weil die Antwort nicht so einfach ist, wie es die lapidare Frage vermuten lässt. Vielleicht aber auch, weil sie genau weiss, wie dünn das Eis ist, auf welches sie sich gleich begeben wird. Denn die Problematik der fehlenden Frauen im Schach ist kompliziert: Sie reicht von festgefahrenen Rollenbildern über die Frage nach spezifisch männlichen und weiblichen Fähigkeiten bis hin zu wiederholten Erfahrungen sexueller Belästigung. 

Tatsache ist: Nicht einmal fünf Prozent der Mitglieder von Schachclubs weltweit sind Frauen. Daran will nun auch der Weltschachverband Fide etwas ändern und hat das Jahr 2022 daher zum «Jahr der Frau im Schach» erklärt. Mehr Frauen sollen für den Schachsport begeistert, mehr Frauen auf internationales Niveau gebracht werden. Ein solches haben Ghazal Hakimifard und Lena Georgescu bereits erreicht.

Die beiden Frauen sind die zurzeit besten Schachspielerinnen der Schweiz, spielen beide im A-Kader der Schweizer Nationalmannschaft und stehen diese Woche beim Swiss Young Masters in Basel im Einsatz: Hakimifard, 28-jährig, geboren im Iran und vor fünf Jahren für ihren Master in die Schweiz gekommen, Georgescu, sechs Jahre jünger, Informatikstudentin aus Bern. 

Georgescu trat im Alter von neun Jahren einem Schachclub bei. Bis dahin hatte sie zu Hause gespielt. Für ihren Vater, einen gebürtigen Rumänen, sei es ganz normal, dass Frauen Schach spielten, meint die 22-Jährige und erklärt: «Besonders zur Zeit des Kommunismus spielten sehr viele Frauen in Rumänien Schach, es gab einige berühmte Schachspielerinnen.»

Ganz anders zeigt sich die Situation heute in der Schweiz, wo der Schachsport unter Frauen kaum verbreitet ist. Dementsprechend gering ist dort auch die Leistungsdichte. «Wenn du einigermassen gut bist, spielst du schon oben mit.» Dies war bei Georgescu im Alter von 14 Jahren der Fall. «Die Leute kannte meinen Namen, sagten, ich hätte Talent. So fühlte es sich ganz natürlich an, mehr Zeit ins Schachspiel zu investieren.»

Hakimifard und Georgescu sind nicht nur die einzigen Frauen am diesjährigen Jungmeister-Turnier in Basel, sie sind in ihrem Sport auch sonst Ausnahmeerscheinungen. Unter den besten Schachspielerinnen und -spielern gibt es kaum Frauen, in den Top 100 der Welt ist gerade mal eine einzige Schachspielerin klassiert, die erste Weltmeisterin scheint noch Jahre entfernt.

Weshalb diese Diskrepanz so gross ist, darüber sind sich die beiden Informatikerinnen weitgehend einig: Es ist pure Statistik. Je weniger Frauen Schach spielen, desto kleiner ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es eine bis ganz nach oben schafft. Statistische Studien kommen zu ähnlichen oder gleichen Resultaten. Nur Georgescu meint einigermassen ratlos: «Irgendetwas ist da noch. Man sieht es ja auch in anderen Bereichen, etwa bei Köchen, dass die Spitzenplätze fast nur von Männern belegt werden.»

Weshalb gibt es nun aber so wenige Frauen im Schach? Hakimifard antwortet schliesslich: «Es fehlen zunächst die weiblichen Vorbilder. Wenn kaum Frauen Schach spielen, hegt auch kein Mädchen den Wunsch, selbst einmal Schachspielerin zu werden.» Und fügt dann an: «Es ist eine Frage der Gesellschaft und wie sie uns die Dinge vermittelt.» Dieser Aspekt darf besonders im Fall des Schachs nicht unterschätzt werden, welches ja aufgrund seiner intellektuellen und logischen Anforderungen und wegen seines taktischen, zuweilen kriegerischen Charakters gern als Spiel angesehen wird, das vor allem Männer beherrschen. Entsprechend hartnäckig hält sich auch das Vorurteil, wonach Männer über biologische Anlagen verfügen, die sie zu besseren Schachspielern machen. 

Wütende Männer

Die Lage im Schach ist eine aussergewöhnliche. Als eine der wenigen Sportarten verfügt der Schachsport einerseits über reine Frauenturniere, erlaubt es andererseits den Frauen aber auch, bei den Männern mitzuspielen. Da im Frauenschach das Niveau so tief ist, bleibt den stärkeren Frauen oft gar keine andere Möglichkeit, als gegen Männer anzutreten. Diese Vermischung der Geschlechter birgt auch Zündstoff. Manche Männer etwa ertragen es schlicht nicht, gegen eine Frau zu verlieren, werden richtiggehend wütend.

Über solches Macho-Getue können die beiden Frauen nur lachen. «Das stört mich schon lange nicht mehr, da habe ich mich schon als Kind daran gewöhnt», meint Georgescu, und Hakimifard fügt schmunzelnd an: «Manche Männer versuchen einfach so fest, nicht zu verlieren, wenn sie einer Frau gegenübersitzen. Das macht es sogar fast einfacher, gegen einen derart verkrampften Gegner zu spielen.»

Ernst wird Georgescu allerdings, wenn sie davon berichtet, wie sehr sie sich früher wünschte, mit ihren Anliegen auf mehr Gehör zu stossen: «Ich war immer eine der einzigen jungen Frauen in der Schweiz, die auf hohem Niveau Schach spielten. Gewisse Probleme, mit denen nur Frauen konfrontiert werden, stiessen somit auf wenig Verständnis. Sexuelle Belästigung war nie ein Thema im Verband, weil natürlich die allermeisten Schachspieler gar nicht davon betroffen sind.»

Darüber, was ihr in ihren Jugendjahren im Schachumfeld alles widerfahren ist, will Georgescu nichts in der Zeitung lesen. Tatsache ist jedoch: Knapp jedes siebte Kind bei den unter 14-Jährigen in der Schweiz ist ein Mädchen. Dieser Anteil nimmt mit zunehmendem Alter rapide ab. Die Gründe dafür mögen unterschiedlicher Natur sein. Und doch ist anzunehmen, dass Georgescus Erlebnisse keine Einzelfälle sind. Lange Zeit wichen Verbände und Clubs dem unangenehmen Thema aus, anstatt sich einzugestehen, dass Sexismus auch im Schachsport ein Problem ist. 

Im selben Team

Georgescu und Hakimifard haben sich inzwischen daran gewöhnt, in einer Männerwelt zu leben. «Ob im Schach, im Studium oder im Beruf, wir sind praktisch nur von Männern umgeben», sagt die Iranerin. Umso mehr würden sich die beiden wünschen, künftig vermehrt auch gegen Frauen spielen zu können.

Dazu wird es am nächsten Samstag kommen. Dann nämlich treten sie in der achten Runde des Swiss Young Masters gegeneinander an, zum ersten Mal überhaupt. Nicht gerade eine Partie, auf die sich die beiden Schachspielerinnen freuen. «Wir sind doch im selben Team», sagt Hakimifard, und es klingt so gar nicht, als würde sie sich damit nur auf den Sport beziehen.

Dann müssen die beiden jungen Frauen los. Ihre Erstrundenpartie beginnt in wenigen Stunden, letzte Vorbereitungen auf den Gegner und einige Taktikübungen sind gefragt. Zusammen verlassen sie den quadratischen Tisch. Zurück bleibt nur das Flackern des Kerzchens. 

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