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Abseits der Skipisten Auf der Suche nach unberührtem Pulverschnee

Von solchen Bedingungen träumen Freerider: Wer sich hinauswagt, muss zwingend die Bedingungen zuerst studieren.

Wir haben das Wetter seit Tagen beobachtet. Die Vorzeichen sind gut. Am Vortag gab es recht viel Niederschlag, und in der Höhe war es kalt. Mindestens 30 Zentimeter Neuschnee in den letzten 24 Stunden zeigt die App «White Risk» des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) ab 1800 Meter über Meer an. Meteo Schweiz verspricht mehr von der weissen Pracht für den heutigen Tag – und ab dem folgenden Tag den Anzug eines Hochs, wobei noch unklar ist, wann genau dieses eintreffen wird.

An diesem Samstagnachmittag packen wir also unsere Koffer und melden uns für Montag im Büro ab. Unser Ziel ist Haute-Nendaz, einer der Ausgangspunkte für die Skiregion 4 Vallées im Mittelwallis. Die Täler um den Mont Fort (3330 m) gelten als die Top-Freeride-Region der Schweiz. Hier gibt es insgesamt acht sogenannte Freetracks. Das sind Pisten, die nicht präpariert werden, folglich zum Tiefschneefahren einladen und lawinentechnisch als sicher gelten, sofern sie freigegeben worden sind.

Wer zuerst da ist, legt die ersten Spuren: Der Tiefschnee ist bei den ausgeschilderten Strecken ein rares Gut.

Am Sonntagmorgen hüpft das Herz beim Grollen von Detonationen: Die Pistencrew ist daran, die Lawinenhänge zu sprengen. Und als wir um 9 Uhr am Skilift stehen, ist auch klar, dass das Hoch schneller unterwegs ist als erwartet. Allerdings zeigt die Übersichtstafel an der Talstation auch, dass die Freetracks noch nicht freigegeben sind. Sie sind orange gekennzeichnet, was bedeutet, dass sie heute noch geöffnet werden könnten – vielleicht aber auch nicht.

Den Vormittag verbringen wir auf zwischen 1700 und 2400 Metern über Meer an den Hängen entlang der Piste vom Plan-du-Fou nach Siviez. Wir finden erstaunlich viel unberührten Schnee, wissen aber auch, dass die steilen Hänge tabu sind, denn das Lawinenbulletin meldet Gefahrenstufe «gross (4-)» ab 2400 Metern über Meer. Und am Mittag schliesslich schalten die Lichter der Freetracks von Orange auf Rot: Heute wirds also nichts mehr mit den Tiefschneepisten.

Die Freetracks liegen in der Nähe von präparierten Pisten.

Es wird warm, der Schnee folglich schwer, und wir wechseln an den Hang zwischen Greppon Blanc (2700 m) und Combatseline (2238 m), wo es noch etwas kühler ist. Da und dort ist noch ein Schwung im Neuschnee möglich, meist war jedoch schon jemand vor uns da. Offpiste-Fahren ist immer noch möglich, allerdings wird das Freeriden mit verfahrener Unterlage technisch gleich etwas anspruchsvoller.

Beim Nachtessen können wir kaum noch die Gabel halten. So müde sind wir. Doch der eigentliche Höhepunkt, die Freetracks, steht uns noch bevor. Um die diese strategisch möglichst gut miteinander zu verbinden, haben wir sogar extra einen Skilehrer gebucht.

Skilehrer Vincent Bidaud kennt sich in Haute-Nendaz aus und begleitet Freerider auf ihrem Abenteuer.

Vincent Bidaud (38) erwartet uns um 9 Uhr an der Talstation Haute-Nendaz. Er soll uns möglichst so durchs Skigebiet führen, dass wir in den Genuss von maximal viel Neuschnee kommen. Die Freetracks stehen auf Orange, was gut ist, denn wir müssen erst zwei Gondeln und einen Sessellift nehmen, um an den Fuss der begehrten Pisten zu gelangen.

Als wir dort ankommen, sind alle acht Freetracks freigegeben. Trotzdem sind wir konsterniert: Vor der Gondel Richtung Mont Fort hat sich eine lange Schlange gebildet. Es sind deutlich mehr Leute als am Vortag unterwegs. Und überdurchschnittlich viele davon tragen einen Lawinenrucksack, sind also mit ähnlichen Absichten unterwegs wie wir. Offensichtlich sind wir nicht die Einzigen, die die Situation am Berg verfolgt haben und auf den besten Tag der Saison hoffen.

«Seit Corona hat es an Tagen, die perfekte Verhältnisse versprechen, viel mehr Leute als früher», weiss Vincent zu berichten. Er vermutet, dass viele flexibler arbeiten als früher und darum spontan freinehmen können. Zudem würden die Freeski immer breiter und damit das Skifahren abseits der Piste immer einfacher.

In Sachen Neuschnee wird der Tag wider Erwarten zur Enttäuschung. Wir müssen leider feststellen, dass wir zu spät dran sind. Wo wir auch hinkommen, sind die Freetracks schon verfahren. Ihr Verlauf ist mit Stäben markiert. Als sicher gelten bloss die ersten 15 Meter rechts und links der Markierungen. Mit jeder Abfahrt entfernen sich die Skifahrenden mehr von der empfohlenen Linie.

Beim Freeriden kann es passieren, dass die Vernunft auf der Strecke bleibt. Mit jeder Abfahrt will man mehr, doch der Neuschnee wird immer weniger. Im Rausch der Hochgefühle blendet man die Gefahr unter Umständen aus. Vincent bleibt mit uns immer im sicheren – und damit im verfahrenen – Bereich.

Abseits vom Rummel können die Freerider die Ruhe geniessen.

Im Rückblick müssen wir feststellen, dass wir am Sonntag rechts und links der präparierten Pisten mehr in den Genuss von Neuschnee gekommen sind als am Montag entlang der Freetracks. Die Skifahrenden am Sonntag waren wohl hauptsächlich Familien und Touristen, während die Prognosen für Montag offenbar alle Tiefschneefans zwischen Genf und Bern mobilisiert haben.

Egal. Wir kommen wieder. Aber dann werden wir uns nicht in Haute-Nendaz einquartieren, sondern in Siviez. In diesem kleinen Kaff läuft abends zwar nichts, dafür ist man dort so nahe an den Freetracks, dass man die relevante Gondel Richtung Col de Gentianes vor allen anderen erreicht – und so garantiert in den Genuss von unberührtem Schnee kommt.

Manchmal fährt man in kleinen Gebieten besser

Zum Freeriden braucht man nicht zwingend eine grosse Destination wie 4 Vallées oder Davos Klosters, die für ihre Freetracks bekannt sind. Nein, manchmal fährt man mit kleinen Skigebieten sogar besser. Denn hier sind vor allem Familien unterwegs, und somit ist die Konkurrenz im Rennen um das unberührte Weiss meist kleiner. Als schöner Nebeneffekt sind die Tageskarten auch meist günstiger als in den grossen Skiregionen. Und keine Angst: Unterfordert ist man trotzdem nicht, denn Skifahren im Tiefschnee ist anstrengender als auf der Piste – vor allem für Freeride-Novizen.

Ein weiterer Vorteil der kleinen Gebiete: Sie sind oft tiefer gelegen, damit ist die Lawinengefahr meist auch etwas geringer als im hochalpinen Raum. Dennoch sollte, wer sich neben die präparierten Pisten wagt, vorgängig das Lawinenbulletin beziehungsweise die App White Risk konsultieren und die darin enthaltene Information auch richtig lesen können. Hierzu empfiehlt sich ein Basiskurs in Lawinenkunde. Zur Ausrüstung gehören zudem zwingend ein Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS), eine Schaufel und eine Sonde.